Kultureinrichtung als Allmende 2017 – 2018
In einem zehn Monate dauernden sozialen Experiment bot sich die Kultureinrichtung zeitraumexit der Allgemeinheit als Allmende an und rief damit auf, die Definition von Kunst und den gesellschaftlichen Stellenwert von Kulturarbeit zu hinterfragen.
Zeitraumexit ist ein privates Künstlerhaus und soziokulturelles Zentrum, das seit zehn Jahren Räume in einem historischen Industriegebäude mit Aufführungen und Ausstellungen bespielt, mitten im Herzen des Gentrifizierungsprojekts und Szeneviertels Jungbusch in Mannheim. Als Mitarbeiter*innen einer als gemeinnützig anerkannten Einrichtung, sah sich das Team von zeitraumexit aufgerufen, den Gemeinnutz der zehnjährigen Kulturarbeit an diesem Ort kritisch zu hinterfragen.
Gemeinsam mit zahlreichen lokalen Partner*innen und der Unterstützung der Regisseurin und Performerin Tanja Krone, des Musikers Ziggy Has Ardeur, der Ausstatterin Kathrin Krummbein und des Designbüros yalla yalla! - studio for change versuchte zeitraumexit, die Institution zehn Monate lang auf den Kopf zu stellen: Nicht Kurator*innen und Künstler*innen entschieden von September 2017 bis Juni 2018, was Kunst und was nützlich ist, sondern alle arbeiteten und entschieden in demokratischen Versammlungen und einmonatigen Bespielungen gemeinsam. Die Regeln für das Verfahren wurden in einem einwöchigen Konvent im September 2017 von den Besucher*innen festgelegt. Der Konvent wurde unterstützt von einem wissenschaftlichen Beirat, bestehend aus der Politologin Sybille DeLaRosa, dem Politologen Raul Zelik, der Erziehungswissenschaftlerin Zahra Deilami, dem Journalisten Thomas Wagner und dem Zeithistoriker Philipp Gassert.
Sechs Initiativen und Vereine nutzten in der Folge die Institution für ihre sozialen, kulturellen oder pädagogischen Zwecke. Die Aufgabe für das Team der Einrichtung bestand darin, nicht nur die Räume zur Verfügung zu stellen, sondern die Projekte so professionell wie möglich zu unterstützen, unabhängig von ihrer Ausrichtung und den gestellten Anforderungen. Die Mitarbeiter*innen übernahmen dabei Aufgaben im Telefonmarketing, der Musikpädagogik oder dem Ladenbau, und mussten versuchen, die Anforderungen eines Kulturbetriebs mit den monatlich wechselnden „artfremden“ Anforderungen zu vereinen.
Die gegenwärtig populäre aber meist vage formulierte Forderung nach einer „Öffnung der Kultur“ wurde in dem Projekt auf die Institution selbst bezogen und in einer Demokratie-Performance, die gleichzeitig einen realen Abstimmungs- und Einigungsprozess darstellte, auf ihre Grenzen hin getestet. Der große Zuspruch für die monatlichen Versammlungen und die leidenschaftlichen und fröhlichen Diskussionen haben uns gezeigt, dass es eine Sehnsucht gibt nach echter Teilhabe, das heißt nach einer gemeinschaftlichen Kultur und einer Kultur des Gemeinsamen.
„Das hier ist die Allmende, oder wie man im Mittelalter gesagt hat: die Gemeinwiese. Das gehört nicht einer einzelnen Gesellschaft. Und wenn ein Eigentümer sagt: daran habe ich hundert Prozent Besitz, dann stimmt das nicht. Das ist ein Kunstwerk und niemand hat hundert Prozent Eigentum an Kunstwerken.“ (Alexander Kluge)
artfremd-zeitraumexit.de